Thomas in Estland

Nach Auslandssemester und Masterarbeit in Tartu - jetzt das richtige Leben in Tallinn

Dienstag, März 11, 2008

E-stonia und SPA-ß

Ich berichte schon nach kurzer Zeit wieder, von erfreulichen und unerfreulichen Dingen. Entgegen der gewöhnlichen Praxis fange ich hier einmal mit dem erfreulichen an.

Ich bin begeistert von diesem Land! Von vielem hier, aber mit am meisten von der Selbstverständlichkeit, mit der umständliche Dinge einfach elektronisch gelöst werden. Nicht umsonst hat Estland den Spitznamen "E-stonia". Zwei Paradebeispiele, die ich letzte Woche
erlebt habe:

Ich stand vor dem Problem, die erste Steuererklärung meines Lebens machen zu müssen, weil ich zum ersten Mal genug verdiene, damit es sich lohnt. Voller Panik ging ich da ran und fragte meine Kollegen, wie die das so machen. Die sagten: Guck mal bei deinem Internet-Banking, da kriegst du alles vorgefertigt. Etwas irritiert, schaute ich mich bei meinem SEB-Konto mal um, und siehe da: Eine Nachricht: "Machen Sie hier Ihre Steuererklärung!" Nach ca. 10 Minuten (und etwas Übersetzungshilfe) hatte ich meine Steuererklärung fertig, Wahnsinn. Die nötigen Daten waren einfach schon da, ich klickte schlicht ständig auf "weiter -> " ... und schon kam ich an den Punkt, wo ich meine Kontonummer angeben sollte. Und jetzt kommt das Beste: Zwei (!!) Tage später war der Rückerstattungsbetrag auf meinem Konto. Ich war fassungslos. Hier gibt es den Berufsstand des Steuerberaters gar nicht, glaub ich. Wie auch - die wären ja alle arbeitslos.

Tja, und das zweite Beispiel ist ähnlich faszinierend: Ich habe in ca. 3 Minuten ein Online-Dauer-Busticket erstanden. Einfach auf die Betreiberseite (wieder durch die Internetbank verlinkt), Ticket ausgesucht, bezahlen, klick, danke. Und der Clou an der Sache: Alles, was ich brauche, wenn ich kontrollierte werde, ist mein estnischer Personalausweis. Dadrin ist ein Chip eingelassen, und wenn den Ausweis Kontrolleur in sein Gerät steckt, sieht er ob ich ein Ticket habe oder nicht. Ich habe also quasi ein virtuelles Ticket, ich muss lediglich beweisen, dass ich auch ich bin. Es ginge sogar mit einem Führerschein. Ahja, und wenn das Ticket ausläuft, krieg ich eine SMS aufs Handy, damit ichs auch nicht vergesse. Hammerkrass! Ich kann sogar das ganze Ticker übers Handy kaufen, das versuch ich als nächstes. Das geht bestimmt so einfach wie Parktickets mit dem Handy kaufen.
..... ist es nicht herrlich?! Es ist schon lustig, wenn man so mit den Esten in meinem Alter spricht. Die allermeisten können sich nicht mal entfernt vorstellen wie es ist, wenn man für seine Bank-Angelegenheiten zur Bank gehen muss. Sowas Abwegiges aber auch, echt! Selbst Eles 60-jährige Mutter macht wie selbstverständlich alle Überweisungen online.


Nuja, das waren die positiven Neuigkeiten. Jetzt ein Tipp: Geht nicht ins Hotel Dorpat in Tartu, jedenfalls nicht, wenn ihr euch von einem Entspannungs-Paket auch Entspannung versprecht. Ich war am Wochenende mit Ele dort, um etwas verspätet ihr Weihnachtsgeschenk einzulösen. Wahnsinn. Wir mussten dreimal nach einem neuen Zimmer fragen. Im ersten hörten wir durch die Lüftung jedes Detail einer lauten russichen Party, man konnte echt nicht schlafen. Mein Gang zur Rezeption mit der Bitte um ein neues Zimmer hatte zum Ergebnis, dass wir von 536 in 336 umzogen. Offenbar hatte man nicht bedacht, dass die Lüftungsschächte senkrecht verlaufen, jedenfalls hörten wir wieder die gleiche Party. Also noch ein neues Zimmer, bitte. Dort angekommen, fanden wir Farbeimer aufm Boden und eine noch fertig zu streichende Decke. Also noch ein neues Zimmer, bitte. Schließlich bezogen wir ein Zimmer auf der Rückseite des Hotels mit einer hässlichen Aussicht (zuvor war es ein schöner Blick auf den Fluss und die sehr schön beleuchtete Altstadt). Ohne Ende genervt, ließen wir es dabei. Noch ein Brüller: Im Paket war ein kostenloses Abendessen im Restaurant des Hotels inklusive. Dort bot man uns die sagenhafte Auswahl von drei Gerichten an, Nachtisch musste Crème Brulee sein, und es gab auch nur Wein (obwohl zu dem einen Gericht echt nur Bier passte). Naja, Ele nahm halt den Lachs, mit großen Erwartungen. Was kam war ein mäßig leckeres Stück Fisch mit ein paar Möhrenstücken dazu. Ele fragte, ob sie dazu etwas Reis haben könne, und da sagt der Ober doch glatt: Nein, das ginge nicht. Kartoffeln denn? Nein, auch nicht. Das sei nur möglich, wenn man ein Gericht bestellt, bei dem Reis mit dabei stehe (dumm nur, dass das bei keinem der uns zur Auswahl stehenden Gerichte der Fall war). Aber ob sie denn nicht grade eine Portion Reis bringen könnten? Nein, es tue ihm leid, in diesem Restaurant sei das nicht möglich, so sei das halt.
.... Ele "genoss" also ihren Fisch mit Brötchen, die der Ober immerhin brachte, und ich gab ihr etwas von meinem Hähnchen ohne Reis oder Kartoffeln, aber zumindest mit Sauce. Au mann ... echt!
Immerhin, der SPA-Teil war nicht schlecht: Bisschen Blubberbad mit Aromazeugs und eine Rückentherapie mit heißem Torf. Und es gab freien Eintritt zum Club Atlantis - das war das Highlight des "Entspannungs"-Pakets für uns, nachdem das meiste andere doch arg seltsam und nervend war.

Naja, gibt ja Schlimmeres. Aber ich musste es einfach mal rauslassen :-) Ansonsten bin ich grade mit dem Einrichten meiner neuen Bleibe beschäftigt.

Viele liebe Grüße in die Heimat!
Thomas