Thomas in Estland

Nach Auslandssemester und Masterarbeit in Tartu - jetzt das richtige Leben in Tallinn

Dienstag, Mai 29, 2007

Estonia reloaded

So, liebe Freunde zu Hause, ich habe mich entschlossen, meinen alten Estland-Weblog wiederzubeleben. Also erstmal ein freundliches "Tere" an euch alle!

Ich berichte in Kürze über meine etwas langatmige Busreise hierher, wie ich so wohne und was ich hier überhaupt schon wieder mache. In Kürze folgt ein ausführlicher Report.

Bis dahin ... viele Grüße in die Heimat!
Thomas

------------- Update -------------

Und hier kommt auch schon der angekündigte Bericht:

Für alle Leser, die sich fragen, was zum Henker ich schon wieder in Estland mache, sei gesagt, dass ich jetzt bis Ende August hier meine Masterarbeit schreiben werde. Ich widme mich dem Thema "Seizing the potential of Mobile TV in Estonia: A scenario-driven approach" - schreibe also auf Englisch. Ich habe einen Betreuer an der Universität in Tallinn, wohne aber in Tartu, weil es schöner und billiger ist. Und weil Ele auch hier wohnt.

Ausgestattet mit einem großzügigen Stipendium des DAAD habe ich mich vor knapp zwei Wochen auf die lange Reise gemacht. Als Verkehrsmittel kamen diesmal nur Auto oder Bus in Frage, weil ich definitiv zu viel Gepäck mitnehmen musste. Da mein treuer Golf einige Tage vorher spontan ausfiel und nun im Hofe meiner Oma auf seine Ausschlachtung und Verschrottung wartet (*HEUL*), blieb nur der Bus. BUS??? Ja, es gibt Busse, die von Deutschland aus (und manche sogar von noch weiter westlich oder südlich) ins Baltikum fahren. Eine der Linien heißt Eurolines, und die sollten mich innerhalb von anderthalb Tagen von Frankfurt bis Riga bringen, und von dort, so der Plan, bringt mich ein Bus der Firma Ecolines nach Tartu.
Auf der Karte hier seht ihr meinen Reiseverlauf:
Also Mittwoch morgen 9 Uhr Zug von Koblenz nach Frankfurt (Danke, Philip, für die Hilfe beim Kofferschleppen - allein hätte ich das Monsterding niemals zum Bahnhof bekommen).
Dann in den Bus, einen Tag, eine Nacht, einen Tag, dann umsteigen in Riga, und nachts dann Ankunft in Tartu.
Die Reise an sich war schon ein Erlebnis, besonders hervorzuheben sind zwei Stationen (in der Karte mit (1) und (2) markiert (zum Vergrößern draufklicken):
(1) In Berlin hatte der Bus ur-lange Aufenthalt, weil wir auf einen anderen Bus warten mussten. Ich konnte mir die Zeit aber sehr gut vertreiben, da ich vorher Barbara, die gerade in Berlin wohnt und arbeitet, gefragt habe, ob wir uns nicht da treffen sollen. Da ich keine Euro mehr hatte und meine Kreditkarte streikte, ließ ich mich noch auf nen lecker Kartoffelsalat an der Aral-Tanke einladen, um dann mit ca. 2 Stunden Verspätung endlich weiterzufahren.
(2) Eben diese 2 Stunden sollten mir noch graue Haare bescheren. Denn mein großzügig eingeplanter Puffer zum Umsteigen in Riga war damit aufgebraucht, und es wurde doch sehr knapp. Abfahrt des Busses war 19:15, und 19:10 kam ich dort an. In der logischerweise entstehenden Hektik riss auch noch der Griff meines Koffers ob des unglaublich hohen Gewichts, aber hauptsache ich musste nicht ne Nacht in Riga verbringen mit dem Gepäck und allem.

Vor solch einer langen Reise im Bus habe ich mich natürlich gefragt, was ich mitnehmen soll, um die Zeit, in der ich nicht schlafe, zu überbrücken. Dazu fielen mir ein:
- ein gutes Buch
- MP3-Player
- Fachbücher, die ich für meine Masterarbeit lesen muss
- genug Essen und Trinken

Alles super Ideen, wie ich fand. Nur Lesen ist nicht so einfach im Bus, manchem wird davon schlecht, mir normalerweise nicht. Aber es ist schon zermürbend, wenn die Buchstaben dauernd wackeln. Und wenn man sich Notizen machen will und die dann nachher selbst nicht mehr lesen kann. Ich habe also exakt ein Kapitel aus den drei Fachbüchern gelesen, dafür fast das ganze gute Buch, ein spannender Krimi. Wenns mir zu bunt wurde mit dem Buchstabengetanze, dann habe ich Musik gehört. Dumm nur, dass die Batterie des MP3-Players bald (so bei Kassel) den Geits aufgab. Aber zum Glück konnte ich Barbara noch schnell beauftragen, mir einen Pack neue Batterien mitzubringen - danke auch dafür! :-) Schließlich fand ich einige verlassene Zeitschriften, in denen es noch ungelöste Sudoku-Rätsel gab. Wahnsinn, wie beim Denken die Zeit vergeht! Ich hab bestimmt 3 Stunden am Stück nur sudokut (ein Wort, dass man sicher bald im Duden finden wird, genau wie "googeln" oder "bloggen").
Naja, und ich hatte an sich geplant, die meiste Zeit zu schlafen. Aber das hat einfach nicht geklappt - verflucht! Keine Ahnung warum - um mich rum waren alle am Scharchen und ich saß da und wusst nix mit mir anzufangen. Irgendwann haben mir auch die Ohren vom Musikhören weh getan. Es war also echt ätzend. Vielleicht hätte ich schlafen können, wenn ichs richtig bequem gehabt hätte - leider hatte ich meine Bequemheits-Maßnahme (mein schönes großes IKEA-Kissen) bereits im Zug nach Frankfurt vergessen. Was mir genau dann auffiel, als ich im Bus schlafen wollte. Klar. Nun kann man dem Busunternehmen auch keinen Vorwurf machen, die Sitze waren bequem, es war sauber, und gegen den sich irgendwann einstellenden Gestank aus der Bordtoilette können sie ja auch nix machen. Ich hatte sogar ein gewisses Maß an Beinfreiheit, und das bei voll besetztem Bus.

Was solls, ich habs überlebt, wenn ich auch die erste Zeit heftigst übermüdet war, als ich hier ankam. Mittlerweile habe ich mich auch fast an die kurzen Nächte gewöhnt (um 23 Uhr isses noch quasi hell, und nachts um halb 4 oder so singen die Vögel schon wieder und die Sonne bahnt sich so ab 5 Uhr rum den Weg durch mein Fenster auf der Ostseite in mein Bett und macht Schlaf zum Luxusgut. Dummerweise hat der Kerl, der mir das Zimmer hier vermietet, so ungefähr gar keine Einrichtungsgegenstände. Ich habe gefunden: einen kleinen Teller, eine Gabel, ein Messer, einen Löffel, einen Topf, mehrere Schnapsgläser, ein Bierglas ... und sonst nicht viel. Nur ein Vorhang, und der ist quasi transparent, hält die Sonne also kaum ab.
Dafür ist das Zimmer super, im achten Stock eines Wohnheims, recht großer Raum, Küche, Bad, alles da. Und auch noch quasi im Stadtzentrum.
Hier ein Bild, das meinen ziemlich schönen Ausblick zeigt:

Bei Tag:

Bei Nacht:
Dem geneigten Leser dürfte bereits aufgefallen sein, dass ich direkt auf mein ehemaliges Wohnheim Raatuse schaue. Ich kann sogar mein ehemaliges Zimmer sehen. Wäre ja mal interessant zu wissen wer da jetzt wohnt. Aus sicheren Quellen habe ich erfahren, dass die Austauschstudenten in diesem Jahr, verglichen mit unserer Truppe von vor einem Jahr, langweilig sind. Und die aus dem letzten Herbst-Semester seien der reinste Kindergarten gewesen. Schönschön, wenn man für Party machen auch noch Lob einheimst :-)


Weiterhin habe ich schon etwas Katastrophentourismus betrieben und habe mir mit Ele zusammen die Folgen der Krawalle in Tallinn angesehen (zum Nachlesen: http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID6714374,00.html)
Ein ganzer Straßenzug wurde ziemlich zerlegt, hier nur beispielhaft ein Bild der Zerstörung:


Dabei haben die Esten sowohl den Park, von wo die Statue wegbewegt wurde, als auch den Friedhof, wo sie wieder aufgestellt wurde, sehr schön hergerichtet. Schaut mal hier, so sieht der Park jetzt aus:


Hoffen wir mal, dass es keine weiteren Krawalle gibt, während ich hier bin. Und sonst auch nicht.

Noch ein paar Worte zum Wetter: Es ist ein Traum! Bin noch selten mit langer Hose rausgegangen. Ab und an gewitterts mal kurz und die Luft wird schwer wie Blei, aber dann knallt die Sonne wieder schön.

Hoffe euch daheim gehts allen gut! Schreibt gerne Kommentare zu diesem oder anderen Berichten. Ich freue mich immer über Grüße aus der Heimat. Oder von wo auch sonst immer, wo ihr euch grade rumtreibt.