Thomas in Estland

Nach Auslandssemester und Masterarbeit in Tartu - jetzt das richtige Leben in Tallinn

Freitag, Februar 15, 2008

Neue Wohnung, alter Thomas

Hallo zusammen in Deutschland,

Wie bereits im letzten Eintrag angedeutet, muss ich ab Anfang März etwas an meiner Wohnsituation ändern. Nach ein paar Maklerterminen und dem Besichtigen mittelmäßiger aber viel zu teurer Wohnungen habe ich beim estnischen Äquivalent zu WG-gesucht.de endlich eine Anzeige geschaltet. Die Resonanz war riesig, ca. 10 Leute wollten mich als Mitbewohner haben. 9 von denen habe ich gar nicht erst kennengelernt, weil der erste ein voller Erfolg war. Ich habe gleich zugesagt, ohne groß zu überlegen. Also, hier meine neue Wohnsituation:

Ich werde ab dem 1.3. in einem Stadtteil namens Kalamaja (zu deutsch: Fischhaus) wohnen. Das ist nicht, wie bisher, im Zentrum, sondern ein klein wenig weiter weg. Hinterm Bahnhof, für diejenigen von euch, denen das was sagt. Ich brauche 10-15 Minuten zu Fuß, bis ich im Zentrum bin, das ist wie in Koblenz damals. Auch die Lage in der Nähe des Bahnhofs ist wie damals in der guten alten WG. Lustigerweise auch der Preis: ich zahle 200 EUR warm für das Zimmer, und teile mir die Wohnung mit einem Esten. Der wirkte sehr nett, war schon eine Zeit in Deutschland (Pluspunkte) und fährt nen 2er-Golf (noch mehr Pluspunkte).
Ich brauche also jetzt für alle Wege etwas länger als vorher, dafür lebe ich für ca. 100 EUR billiger und nicht weit vom Strand (von zwei Stränden genauer gesagt). Und ich habe saubere Luft zum Atmen, nicht wie hier in der Stadtmitte, bäh. Und einen Garten zum Grillen im Sommer. Harrr - was will man noch mehr?

Was man auf jeden Fall will ist Gesundheit. Die leidet grade, und ich versuche mir einzureden, dass es nicht am Alter liegt, sondern an der Arbeitsbelastung diese Woche. Mir tut mein Rücken so weh, woah. Ich bin seit Montag in einem der Rimi-Hypermärkte, genauer gesagt in dem am Hafen. Der ist genau vor den Fähr-Terminals, von wo die ganzen Riesenschiffe nach Finnland und Schweden ablegen. Daher decken sich hier auch die Finnen und Schweden vor ihrer Heimreise ordentlich mit Spirituosen ein, weils ja nur die Hälfte kostet wie daheim. Gut für die Finnen und Schweden, schlecht für meinen Rücken, weil ich in der hunderte Quadratmeter großen Alkoholabteilung die Regale auffüllen durfte. Und so gerne ich Wein, Bier und Whisky trinke ... jetzt hab ich erstmal genug davon. Die Kisten werden irgendwann echt schwer. Tagsüber hab ich das nicht wirklich gemerkt, aber jetzt tut mir seit drei Tagen der Rücken so weh als wär ich 80. Hoffe das wird bald besser... Dabei werd ich doch erst 26.

Sonstige Neuigkeiten sind weniger tragisch. Mein Estnisch-Kurs hat angefangen und macht einen Riesenspaß. Die Lehrerin ist ziemlich strikt darin, nur Estnisch zu sprechen, Englisch daher nur in Ausnahmefällen. Die Teilnehmer sind 3 Deutsche und ein Schweizer. Lustige Gesellen, und ich denke, der Kurs wird kurzweilig. Nie war ich so motiviert zum Lernen. Weder in der Schule noch in der Uni.

Die nächste Woche verspricht spaßig zu werden. Am Dienstag werd ich auf die eine oder andere Art Geburtstag feiern. Am Donnerstag kriege ich Besuch von meiner Freundin Romy aus Heidelberg, und am Sonntag ist der estnische Unabhängigkeits-Feiertag, an dessen Vorabend traditionell gut gefeiert wird. Wir werden hier in der Wohnung, quasi als Auszugs-Party und damit nur 5 Wochen nach der Einweihungsfeier, eine Feier zum 90sten Jahrestag der 1918 unterzeichneten estnischen Unabhängigkeitserklärung veranstalten (vergessen wir an dieser Stelle einmal, dass Estland vom zweiten Weltkrieg bis 1991 alles andere als unabhängig war ;-) ). Alle sollen in den Landesfarben kommen, es gibt einen gespielten Präsidentenempfang, typisch estnische Speisen (Kartoffelsalat, Schweinefleisch, Fischsuppe) und Getränke (Wodka), sowie ein "Wie gut kennt ihr euer Land?"-Quiz. Wird bestimmt super!

Bilder gibts diesmal leider keine, dafür nächstes Mal umso mehr. Versprochen.

Liebe Grüße,
Thomas

Samstag, Februar 02, 2008

Reise Reise

Dieser Blog-Eintrag steht ganz im Licht des Reisens. Hauptsächlich Reisepläne, aber schon ganz konkret, und was gibts Schöneres als Planen und dann die Vorfreude?!

Also, hinter mir liegen zwei sehr bewegte Wochen, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich war zuerst drei Tage in Riga bei einem Management-Seminar für Rimi-Mitarbeiter, das am lettischen Ableger der Stockholm School of Economics stattfand. Sehr schön, sehr lehrreich, und gekrönt durch ein offizielles Abendessen in einem sonst bestimmt teuren Restaurant:


Was habe ich dort gelernt, fragt man sich. Hauptsächlich ging es um praktische Tipps zur Mitarbeitermotivation, und ich weiß nun, dass Menschen grundsätzlich durch verschiedene Dinge motiviert werden. Ein einfacher Test hat gezeigt, dass ich bezüglich meiner Arbeitsmotivation einfach gestrickt bin: Ich werde durch Geld und Beförderungsaussichten motiviert. Bei anderen kamen auch so Sachen wie Urlaub oder soziale Anerkennung raus ... wie langweilig :-)

Am Wochenende war ich dann bei Ele, und Sonntag musste ich dann schon wieder für drei Tage nach Riga. Naja, was heißt "musste" ... ich wollte. Gerade ist in meinem Trainee-Programm die Phase, wo ich mir die Abteilung aussuchen kann, ich der ich arbeiten will. Da ich mir das Gefühl geben wollte, nicht umsonst studiert zu haben, entschied ich mich für die IT-Abteilung. Dazu hab ich mir also in Riga alles mögliche über SAP erzählen und zeigen lassen. Und Donnerstag morgen bin ich dann nach Litauen, genauer gesagt Vilnius, gefahren, weil da ein anderer Zweig der IT ist. Alles in allem sehr interessant, aber eben viel rumgefahre. Habe alles mit einem Mietwagen gemacht, und es waren jeweils ca. vier Stunden Fahrt. Alleine macht das echt keinen Spaß. Aber das Auto war doll, ein brandneuer Toyota Auris. War erst 8 km gefahren, als ich ihn bekam. Der war flott (aber leider darf man hier nur 90 fahren) und hatte eine extrem gute HiFi-Anlage. Also alles halb so schlimm :-)

Und als ich dachte, die Woche habe ich gut hinter mich gebracht, da kams ganz dick. Das war gestern. Ich bin mit meiner Trainee-Kollegin Kadri durch Riga gezogen, auf der Suche nach interessanten Bars. Davon gibts dort ja bekanntlich viele, aber wir sind ausgerechnet im wahrscheinlich einzigen Schuppen gelandet, der von den lokalen Skinheads bevölkert wird. Das war zunächst gar nicht so ersichtlich. Da waren halt ein paar Typen mit Glatze und fieser Bomberjacke, aber das kennt man ja und denkt sich schon nix mehr bei. Also haben wir uns zwei Bier bestellt und uns den Live-Auftritt einer lettischen Punkrock-Band angeschaut. Alles friedlich, bisschen Rumgeschubse, nichts Spektakuläres. Zunächst. Dann hat der Gitarrist eine Gasmaske aufgesetzt, und ich hielt es noch für eine Hommage an Slipknot. Von den Liedern haben wir natürlich kein Wort verstanden, sonst wären wir da vielleicht schon gegangen. Aber wir sind ja vorurteilsfreie Menschen, und das Bier war schließlich lecker und billig, also blieben wir. Dann wechselte die Band, und mit ihr auch das Publikum. Plötzlich waren ausschließlich Glatzköpp vor der Bühne, die sich ihre Shirts auszogen, um ihre Bierbäuche und Nazi-Motiv-Tätowierungen zu präsentieren. Das war dann für uns und quasi alle anderen Gäste das Signal, die Bar zu verlassen. Beim Rausgehen hörten wir dann nur noch lautes "Sieg Heil!" Gebrülle und sahen, wie sie eine Hakenkreuzfahne hissten. --- Normalerweise dokumentier ich ja gern meine Erlebnisse mit Bildern - in diesem Fall erspar ichs euch.

Ich fühlte mich danach Scheiße, klar. Wir verbrachten also eine halbe Stunde damit, zu überlegen, was Menschen zu sowas treibt. Was soll der Quatsch? Wie kann man so blöd sein und diese Ideologie verherrlichen? Ich habe dann auch festgestellt, dass man als Deutscher da gewissermaßen übersensibel ist - was ja auch nachvollziehbar ist. Meine Kollegin Kadri fand das auch schlimm, aber ich fühlte mich regelrecht persönlich verletzt ... komisch eigentlich. Deutschland heute hat ja mit dem von vor 70 Jahren nicht mehr wirklich was zu tun.

Naja, schlussendlich haben wir die alle für schlichtweg dumm erklärt und versucht, den Abend zu retten. Und das gelang uns vorzüglichst. Wir gingen in eine Bar namens "Pulkvedim neviens neraksta", was soviel heißt wie "Niemand schreibt dem Oberst". Ich hatte dort vor gut anderthalb Jahren schonmal einen sehr feucht-fröhlichen Abend mit meinem Kumpel Christoph, der damit endete, dass ich mein Handy im Zug verlor (siehe mein alter Blog-Eintrag ). Der Abend jetzt hatte also große Fußstapfen zu füllen, was er auch tat. Wir tranken so großartige Sachen wie Rammstein (taktloserweise ein Drink zum Anzünden) und Crazy Frog. Und einige Biere. Die Musik war wie gewohnt klasse. Irgendwann torkelten wir ziemlich, und in Anbetracht der Tatsache, dass ich am nächsten Tag mit dem Auto nach Tallinn fahren musste (~300 km), haben wir das Trinken für beendet erklärt und nach Ausnüchterungsmöglichkeiten gesucht. Schießlich wurden wir in so nem neuen modernen Coffee-To-Go Ding fündig - die haben rund um die Uhr warmes Essen. Also gabs zum Frühstück um 5 Nudeln und Pommes :-) Nüchterner wurden wir nicht. Wie auch? Bekanntlich setzt die Wirkung von Alkohol verzögert ein - besser wurde also gar nix durch das Essen. Um 6 oder so fiel jeder in sein Hotelbett. Zum Glück ist es ein kleines Hotel, wir haben also ausgehandelt, dass wir unser Frühstück um 12 Uhr bekommen können. Mit dickem Kopf und vollem Bauch habe ich mich dann auf den beschwerlichen Rückweg nach Tallinn gemacht. Und hier sitze ich jetzt und kämpfe gegen den Schlaf an.

Hier noch ein Bild, was sehr schön das Selbstverständnis der Esten darstellt. Es wurde aufgenommen hinter der lettisch-estnischen Grenze, und es ist das erste, was ein über Land Reisender von Estland sieht, wenn er das Land betritt:


Die Werbetafel ist groß, richtig groß. Davor, auf diesem Bild leider nicht zu sehen, ist eine ebensogroße Werbung des Konkurrenten Saku. Was also wird einem hier vermittelt? Genau - hier bin ich richtig :-)

So, nun zu meinen Reiseplänen:
Im März, unmittelbar nach dem Ende des Trainee-Programms und bevor ich so richtig arbeiten muss, werde ich meinen Freund Bernhard in Schweden besuchen. Der Verrückte hat einfach ein Haus in Lappland gekauft und ist da jetzt ab und an im Urlaub. Ich hoffe, dass dort dann noch Schnee liegt, damit ich endlich mal Skifahren kann. Hier in Estland ist das ja normalerweise problemlos möglich - aber irgendwie fehlt dazu grade der Schnee.
Und im Juni komme ich (spätestens) endlich nochmal heim für 1-2 Wochen, unter anderem um Rock am Ring mitzunehmen.

Weitere Neuigkeiten sind, dass meine Mitbewohnerin für ein halbes Jahr nach Norwegen gehen wird. Da mir die Wohnung hier allein zu teuer ist muss ich mir entweder einen vertrauenswürdigen, gut situierten und ruhigen Mitbewohner suchen, oder eben eine neue Bleibe. Das Umziehen bin ja mehr als leid, hmpf. Will nicht jemand von euch nach Tallinn ziehen? Ist schön hier! :-)

Ab übernächstem Montag werde ich nochmal für 5 Wochen in einem Hypermarket arbeiten, und dann ist das Trainee-Dasein auch schon zu Ende. Welchen Job ich danach bei Rimi machen werde ist noch nicht klar. Momentan interessiert mich ja Einkauf und Sortimentsmanagement am meisten, aber dafür muss ich noch gut Estnisch büffeln, damit ich auch mit den Lieferanten verhandeln kann. Alternativ kann ich was rein internes machen, wofür ich kein Estnisch brauche. Momentan wird ein sog. Business Process Development Manager gesucht. Klingt klasse und gut bezahlt, aber es ist wohl nicht die Position, für die man relativ unerfahrene ex-Trainees einsetzt. Was noch ginge ist IT ... aber da sind die Aufstiegsmöglichkeiten arg eingegrenzt, zumal man auch mehr und mehr von Dienstleistern einkauft. Es bleibt also spannend, was aus mir wird. Ich kämpfe um die Stelle im Einkauf, soviel steht fest. In einer Woche startet endlich mein Estnisch-Kurs. Vielleicht klappts ja wirklich ...

Also, Fazit der Woche:
Skinheads sind doof, Riga ist aber trotzdem schön zum Ausgehen. Estland ist ein Bierland. Und meine Zukunft ist nach wie vor ungewiss. Kurz und knapp: Keine neuen Erkenntnisse. :-)

Zum Schluss will ich euch zwei Bilder nicht vorenthalten. Das erste zeigt, wie verrückt meine Kollegen (links im Bild Martin, rechts Kadri) wirklich sind - kein weiterer Kommentar:



Und dieses hier beweist, dass es Geister eben doch gibt. Es ist von der Silvesternacht, und aus irgendeinem Grund hat meine Kamera diesen echt krassen Effekt erzeugt. Wie sowas passiert kann ich mir nicht erklären. Vor allem, wenn man genauer hinschaut, dann ist mein Geisterkopf wie mein echter, der von Ele aber ist spiegelverkehrt. Wers mir erklären kann kriegt beim nächsten Besuch ein Bier ausgegeben (dazu muss der Gewinner aber erst herkommen :-) ):


Gehabt euch wohl und lassts euch gutgehen.