Thomas in Estland

Nach Auslandssemester und Masterarbeit in Tartu - jetzt das richtige Leben in Tallinn

Montag, Juli 14, 2008

Ein schönes Land!

Jaha, ein schönes Land haben wir, und ich meine damit Deutschland. Nicht, dass Estland nicht schön wäre (dazu später mehr) - aber bei meinem Sommertrip nach Deutschland musste ich doch mal wieder erstaunt feststellen, was Deutschland alles zu bieten hat. Neben all den wunderbaren Lesern dieses Blogs (ich muss etwas schleimen, der letzte Eintrag liegt so lange zurück) gibt es dort nämlich auch einfach traumhafte Landschaften und Städte. Woher der plötzliche Enthusiasmus, werdet ihr euch fragen. Nun, diese Geschichte folgt hier.

Anfang Juni machte ich mich mit Ele und meiner Bekannten Monika auf den langen Weg nach Deutschland ... mit dem Auto. Genauer gesagt mit einem Transporter der Marke Ford Transit. Nach anfänglich etwas ruppigem Anfahren lief es irgendwann richtig gut, und schon nach gut 18 Stunden erreichten wir Warschau. Pausen gabs keine, Monika und ich haben uns einfach immer abgewechselt, mit mehr oder weniger erholsamen Schlafpausen. Ele hat derweil für eine Klausur gelernt oder versucht, die wirren Regeln der deutschen Sprache zu verstehen.

Nach Warschau wurde es dann etwas langsamer, und wir hatten unsere liebe Mühe mit dem polnischen Fahrstil. Denn es wird quasi von einem erwartet, dass man permanent mit einem Rad im Graben fährt, damit entgegenkommende überholende Fahrzeuge auch Platz haben. Aus zwei Spuren werden so schnell drei oder in Extremfällen auch schonmal vier. Aber auch das haben wir überlebt, und schließlich nach geschätzten 24 Stunden haben wir Monika am Flughafen Schönefeld abgeliefert. Die Ärmste sah so müde aus wie ich mich fühlte, aber auch froh, wieder Heimatboden zu betreten. Es ist schon ein stark unterschätztes Glücksgefühl, wenn man plötzlich wieder gelbe Straßenschilder sieht und alles lesen kann, was so um einen rum geschrieben steht.

Und nun beginnt die Erzählung vom schönen Land. Sie beginnt im Spreewald, im schönen Lübben. Hach, wat schön. Gurken aller Geschmacksrichtungen überall zu kaufen, Kahnfahrten, alles voll entspannt. Aber da waren wir nur kurz, leider. Wir hatten nämlich einen Termin in einer Werkstatt in Pulsnitz, der Pfefferkuchenstadt. Es ist die einzige Stadt in Deutschland, in der Pfefferkuchen (sowas wie Lebkuchen) noch von Hand hergestellt werden. Dort hat man in unser Auto (geliehen von meinem Bekannten Peter aus Tallinn) einen Gasantrieb eingebaut - wir haben quasi den Transport des Autos dorthin übernommen. Dafür durften wir im schönen Gasthaus am Markt in einem Zimmer mit Wasserbett nächtigen. Hier ein Bild vom Pulsnitzer Marktplatz:



Wir hatten auch noch einen Tag Zeit, uns Dresden anzuschauen - einfach nur schön. Die Frauenkirche und den Zwinger sollte man echt einmal gesehen haben! Und natürlich das Dresdener Kneipenviertel - das ist so vom Kaliber Frankfurt-Sachsenhausen. Eine Kneipe neben der anderen, und überall lief Fußball. Ele hat auch gleich noch dem Ballack Glück für die EM gewünscht - bisschen was hats ja genutzt.

Der Zwinger in Dresden


Die Frauenkirche mit Lutherstatue davor


Wie konnten die Deutschen denn nach so nem Glücksbussi noch verlieren??


Nachdem das Auto dann fertig war ging es dann auf die letzten 600 Kilometer der Heimreise. Das Auto sprang etwas schlechter an als vorher, aber da dachten wir uns nix bei - ein fataler Fehler, wie sich noch herausstellen sollte.

Daheim wars dann schön, bis aufs Wetter. Aber auch so musste ich mal wieder feststellen, wie schön es dort ist. Ich fange erst gar nicht an zu schwelgen, sonst bricht bei mir noch Heimweh aus. Kurzfassung: Wir waren in Cochem, Heidelberg und Koblenz. Maria Laach und Trier haben wir uns für den nächsten Besuch aufgehoben :-)

Am letzten Tag daheim hab ich dann mit meinem Vater Möbel aufgeladen, und zwar so, dass echt nix mehr reinging (das war der Grund für die Fahrt mit dem Transporter - für alle, die sich schon gefragt haben, warum wir nicht geflogen sind). Jetzt hab ich endlich mein tolles Bett, Stereoanlage und allen möglichen anderen Krempel hier. Fast wie daheim.

Nach einem abschließenden Besuch der Cochemer Senfmühle haben wir (jetzt mit Unterstützung von Papa) uns auf den Rückweg gemacht, mit dem Plan Dienstag morgen losfahren, Mittwoch abend ankommen. Aus dem Plan wurde leider nichts, denn ... unser Auto hat mitten in Polen plötzlich aufgegeben und sprang gar nicht mehr an. Und das mitten in der Nacht, an einer Tankstelle, die geschlossen hatte. AAARGH! Panik! Auch nach ca. einer Stunde rumprobieren hat sich nix gerührt. Zwischenzeitlich kamen ein paar polnische Straßenarbeiter, die sehr hilfsbereit waren, leider aber weder Englisch noch Deutsch sprachen. Und Licht gabs auch keins dort, also leuchteten sie mit ihren Handydisplays im Motorraum rum und brachten auf polnisch und russisch Argumente für ihre verschiedenen Theorien vor, was denn nun kaputt sei. Half uns ja alles nix. In der Zwischenzeit hatten wir auch eine Nummer vom Abschleppdienst, der nach etwas einer Stunde eintraf. Und hier fing das Abenteuer erst an.

Denn: Der Fahrer des Abschleppwagens war extremst hibbelig und auch ein bisschen lustig, aber eben leider auch vollkommen wahnsinnig. Er zog also unseren Transporter auf die Ladefläche, vertäute alles brav, und ließ uns dann zu dritt neben ihm im Fahrerraum "Platz" nehmen. Von Platz konnte keine Rede sein, von Anschnallen schon gar nicht. Dann fuhr er los, auf einer Abkürzung, wie er stolz erklärte. Die Straße war denkbar schlecht, und ich sah das Auto im Rückspiegel nur so schaukeln. Als er dann auch noch ungebremst durch scharfe Kurven fuhr, dachte ich endgültig, dass wir oder zumindest das Auto es nicht überstehen werden. Ich sah es schon vor mir: Der geliehene Transporter fällt, dank enomrmer Fliehkraft und einseitiger Vertäung, seitwärts vom Abschleppwagen und landet samt Inhalt, den ich extra aus Deutschland abgeholt hatte, vollständig zermatscht im Graben. Alle meine Möbel, Lautsprecher und überhaupt alles sind schrottreif, und wir stehen mitten in der Nacht irgendwo in Polen und kommen nicht mehr weg.
Zum Glück war ich so übermüdet, dass ich alles etwas verschwommen wahrnahm. So auch die lapidare Bemerkung des Fahrers: "Ah da, Polizei" ... Schreck! ... "Aber macht nix, is mein Freund, der hält uns nicht an". Herzschlag wieder auf Schlaflevel, puh. In Polen läuft alles über Beziehungen, wurde mir da klar. So denn auch die Wahl der Werkstatt. Der Fahrer wollte uns partout nicht zu einer Ford-Werkstatt bringen, viel zu teuer. Besser er bringe uns zu einer Werkstatt von einem Kumpel, meinte er. Wieder einmal gingen die Alarmglocken an, aber ich hatte sie schon so oft gehört an diesem Tag, dass ich völlig ruhig sagte "Ja klar, ist ja auch besser". Wars dann auch: Wir kamen zu einer großen LKW-Werkstatt am Rande von Poznan, um 3 Uhr nachts. Da niemand auf der Arbeit war (komisch!), schliefen wir also in unserem Auto ein, ungewiss was der nächste Tag bringen würde - es könnte ja immer noch passieren, dass wir mit diesem Auto nicht weiterkommen, und das hieße, dass wir mit ner Menge Möbel in Polen gestrandet wären.

Schon um 6 Uhr morgens (das nenn ich mal Arbeitsmoral!) kamen die ersten Polen zur Arbeit. Schnell hatten wir auch den Chef aufgefunden, der uns versprach sich drum zu kümmern. Um 9 Uhr fingen sie an zu werkeln, und ich ging mit meinem Vater auf Erkundungstour durch Poznan. Ele blieb da und lernte weiter für ihre Klausur, deren Bestehen, sofern sie überhaupt rechtzeitig dafür wieder zurück sein sollte, durch die Strapazen arg erschwert wurde. Und dann, nur 2 Stunden später, rief der Werkstattsmeister an und verkündete das Auto sei repariert. Auf dem Rückweg verliefen wir uns noch leicht im Wald, aber ob der vorhergegangenen Ereignisse blieben wir ganz locker.

Zurück in der Werkstatt verkündete man uns, dass es nicht wie vermutet die Benzinpumpe gewesen sei, sondern die Einspritzung nicht klappte. Ich als Laie konnte nur sagen "Jaja, ähmhm, ja das ... klar". Mein Papa nickte verstehend, also vertraute ich den polnischen Mechanikern mal. Die wollten dann auch nur 40 Euro haben, ganz im Gegensatz zum Abschlepper von der Nacht zuvor - der sahnte dicke 120 Euro ab und war sichtlich froh über den guten Fang. Für mehr als 2 Stunden Arbeit zweier Mechaniker, Chef dabei, sind 40 Euro gewiss nicht zuviel.

Mit neuen Kabeln im Motorraum, frischem Mut, arg übermüdet und stinkend machten wir uns dann auf den weiteren Weg. Der Plan, den Berufsverkehr in Warschau zu umgehen, ging um ca. eine halbe Stunde schief, so dauerte alles noch viel länger. Nach einer Ewigkeit kamen wir dann endlich endlich zur Frühstückszeit in Tallinn an. Boah! Wir duschten, brachten das Auto zurück, und schliefen erstmal den Rest vom Tag :-)

Es folgten ein paar sehr Fußball-lastige Tage mit meinem Papa in einer guten Kneipe, und ein paar Ausflüge, die leider ständig vom Regen vermiest wurden, wie zuvor in Deutschland. Hier mein Papa auf dem Dach vom Radisson-Hotel, Blick auf die Altstadt mit Meer dahinter (ich muss noch einmal betonen: Ich wohne am Meer!):

Papa auf dem Dach


Noch nie wahrgenommen: Das Dominikanerkloster in Tallinn.
Könnte so auch in Italien stehen.


Kaum war der Papa weg kam auch schon die Mama mit zwei Kolleginnen. Die hattens mit dem Wetter etwas besser erwischt, und so unternahmen wir an einem Tag auch einen Ausflug in den Naturpark Lahemaa (heißt soviel wie "Buchtenland"). Es gab eine Menge zu bewundern, denn auch Estland ist schön:


Tolle Herrenhäuser

Schöne Ostsee-Buchten mit Findlingen darin
(das gibt einem Meeresblick so richtig was, wenn Steine drin liegen!)



Echte Altestnische Schaukeln aus Holz



Burgruinen (Rakvere)


Natürlich spielte auch während des Besuchs meiner Mama der Fußball eine wichtige Rolle. Zum Endspiel wurden wir sogar in die deutsche Botschaft eingeladen - unmöglich, das abzuschlagen. Zusammen mit dem deutschen und dem spanischen Botschafter sahen wir uns das Spiel an, leider mit unerfreulichem Ausgang für alle bis auf eben den spanischen Botschafter.

Fussball in der Botschaft - vorne meine Mutter mit
zwei Kolleginnen Anette und Barbara


So, jetzt noch im Schnellabriss die übrigen Dinge:
Ich habe mich einmal über mangelnde Zivilcourage aufgeregt, als ich in einen Bus einstieg und dort ein bewusstloser Mann auf dem Boden lag und sich niemand darum kümmerte. Ich konnte mit Mühe einen unbeteiligt Dreinschauenden überreden mir zu helfen, den Kerl in einen Sitz zu hieven. Dem Busfahrer wars denn auch egal, als ich ihn aufforderte was zu tun. Er würde sich an der Endhaltestelle drum kümmern. Wutentbrannt wollte ich gerne den ganzen Bus anschreien, wie bescheuert sich alle verhalten haben, leider konnte ich meinem Zorn nicht auf Estnisch Ausdruck verleihen. Ich tat es dann in Schriftform an das Busunternehmen, das sich auch prompt per Telefon meldete, entschuldigte, versicherte man habe mit dem Busfahrer gesprochen und dem Bewusstlosen gehe es wieder besser - er sei mit Drogen vollgepumpt gewesen. Immerhin, sie haben sich gemeldet. Aber mein Zorn auf die Gesellschaft ist immer noch nicht verraucht! Woher sollte den irgendeiner in dem Bus wissen, dass der Mann voller Drogen war? Hätte ja auch sonstwas sein können! So sehr nach Penner sah er nicht aus, dass man das Übliche annimmt. Und selbst wenn! Arrrgh, was war und bin ich sauer. Alle haben bloß geglotzt und angenommen, dass wenn keiner was tut, dann wirds dem Kerl schon gut gehen.

Zum Schluss dann noch was Erfreuliches: Hier war Õllesummer. Das ist so wie Oktoberfest und Rock am Ring zusammen - ein Wahnsinnsspektakel mit vielen Bieren aus aller Welt frisch vom Fass und guter Musik und Grillgeruch überall. Genau das was ich voll vermisst habe die ganze Zeit. Der Höhepunkt zweifellos: Am Freitagabend spielte Franz Ferdinand! Hammer, sag ich nur!

Franz Ferdinand - Super!


Bald ist wieder die Baltic Beach Party in Liepaja, das wird auch ein Spaß. Und grad ist die Romy zu Besuch, die macht einen dreiwöchigen Estnisch-Sprachkurs. Und jetzt hör ich auch auf - wer bis hierhin durchgehalten hat: Glückwunsch :-)

Viele liebe Grüße,
Thomas