Thomas in Estland

Nach Auslandssemester und Masterarbeit in Tartu - jetzt das richtige Leben in Tallinn

Sonntag, Juli 12, 2009

Sommer in Estland

Hallo zusammen!

Hurra, es ist Sommer in Estland! Das heißt es ist tagsüber zwischen 15 und 25 Grad, aber doch oft wolkig. Und alles, was man in den restlichen 9 Monaten des Jahres nicht machen kann, wird jetzt in 3 Monate gepresst. Entsprechend wenig Zeit habe ich zum Blog-Schreiben :-) Nun aber dann doch endlich eine bilderreiche Zusammenfassung der letzten Monate.

Machen wirs diesmal ganz strukturiert, mit Inhaltsverzeichnis.
Also: Was so los war ...
- Lars und Stefan waren zu Besuch, ebenso mein Onkel Klaus mit seiner Freundin Niina
- Ele hat ihr Bachelorstudium abgeschlossen
- Ich habe auf einem Pferd gesessen
- Estland hat ein neues, viel diskutiertes Freiheitsdenkmal
- Es war Jaanipäev - der Tag (und die vorherige Nacht) an dem Esten alljährlich das Mittsommerfest feiern
- Zwei weitere tolle Ereignisse: Das estnische Sängerfest und das estnische Äquivalent zum Oktoberfest, Õllesummer


Fangen wir mit dem wichtigsten an, dem Besuch den ich hatte. Meine Freunde Lars und Stefan waren Anfang Mai hier, und mein Onkel Klaus mit seiner finnischen Freundin Niina Ende Juni. Da alle schonmal hier in Estland und auch Tallinn waren, musste ich mir was Neues einfallen lassen. Mit den beiden Jungs war das hauptsächlich gemütliches Beisammensein in in kleiner Runde in Kneipe oder daheim. Wir waren im Standard-Lokal Hell Hunt, und auch das total auf Mittelalter-Marketing setzende Olde Hansa wollte ich ihnen nicht vorenthalten. Leider hat man in letzterem auf subversive Art versucht, und das Geld aus der Tasche zu ziehen. Eine als tolles Brot mit Kräuterbutter für 2 Euro angepriesene Beilage kostete nachher dann doch 4 Euro, und überhaupt war die Rechnung am Ende doch sehr fantasievoll. Die haben mich das letzte Mal gesehen!
Wir haben aber auch kulturell einiges gemacht: Zoobesuch, Ausflug in einen Nationalpark, Brettspiele bei Dosenbier. In Bildern sieht das Ganz so aus:
Wir könnten eine Boyband sein, oder?


Stefan und ich auf einem Findling im Nationalpark Lahemaa


Das wirklich tolle Brettspiel "Zug um Zug"
unterhielt uns für ein paar Stunden.


Onkel+Freundin hatten leider weniger Zeit, daher gabs nur Kurzprogramm im Nationalpark und Bierchen hier und da sowie Grillen im Garten. Bilder fehlen leider - hoffe, dass Klaus noch welche schickt ...


Nun eine frohe Nachricht: Es gibt was zu feiern! Ele hat ihren Bachelor! Das wurde mit einer echten Zeremonie gewürdigt, wo Dekan etc. Reden halten und die Absolventen ihre Zeugnisse überreicht bekommen. Alle ziehen sich schick an und die Mädels werden mit Blumen überhäuft. Die ganze Stadt Tartu war bunt und überall waren gut angezogene Leute an diesem tollen Tag. Herzlichen Glückwunsch, Ele! Und die nächste gute Nachricht: Sie hat auch schon einen Job sicher. Der Wirtschaftskrise zum Trotz - Ha!
Ele stolz neben ihrer Uni am Tag der Absolventenfeier

Anlässlich unseres 3-jährigen Jubiläums unternahmen wir einen Ausflug. Die Wahl fiel auf Ost-Estland, welches bei den Esten vor allem dafür bekannt ist, dass die Bevölkerung größtenteils russisch ist und dort nicht los ist. Nun, ersteres stimmt, aber letzteres nicht. Es ist wirklich schön, wie an den Bildern weiter unten zu erkennen. Unser Ausflug verlief so:
Ele wollte wirklich gerne einmal reiten, also hab ich mich überreden lassen, mich auch auf ein Pferd zu setzen und es zu versuchen. Auf einem quasi am Meer gelegenen idyllischen Reiterhof setzte mich die Lehrerin auf das größte und stärkste Pferd, das sie hatten (der Name: Prints), und versuchte mir beizubringen wie man sich verhalten muss, um dem Pferd zu sagen, wo man hin will und wie schnell. Nach anfänglichen Missverständnissen zwischen Prints und mir ging es dann doch ganz gut. Auch der Rhythmus fürs Traben kam irgendwann von selbst und es hat richtig Spaß gemacht.
Ich auf dem Riesenpferd namens "Prints"
(was auf Deutsch Prinz heißt, wie man leicht erraten kann)


Dann wars spät und wir mussten uns einen Platz zum Übernachten suchen. Mehr durch Zufall fanden wir einen traumhaften Strandabschnitt, an dem wir uns entschieden, unser Zelt aufzuschlagen. Dabei zeigte sich, dass wir das nicht allzuoft machen, denn wir hatten ein paar wesentliche Dinge vergessen. Zum einen diese biegbaren Stangen, die man über das Zelt spannt, damit es ... nunja, überhaupt stehen kann. Und zum anderen die Luftpumpe, um unsere Riesenmatratze aufzupumpen. Da es schon spät und wir von zu Hause ziemlich weit weg waren, wurden wir kreativ: Ein heruntergekommenes Volleyballnetz diente für diese Nacht als Aufhängung für unser Zelt - als Aufhänger benutzten wir Klebeband sowie einen Gürtel. Unglaublicherweise haben wir es geschafft, ein bewohnbares Etwas aufzubauen (Zelt möchte ich es wirklich nicht nennen).
Versuch eines Selbstporträts am Strand


Unsere Luxusunterkunft


Nach einer wenig erholsamen Nacht machten wir uns am nächsten Tag auf nach Narva, der Stadt an der Grenze zu Russland. Dort gibt es außer Plattenbauten nicht viel zu sehen. Immerhin ist der Strand um den Grenzfluss herum nett gemacht, und man sieht dort zwei Burgen, die sich über Fluss und Landesgrenze hinweg scheinbar grimmig anstarren.
Weiterhin haben wir noch Sillamäe gefunden, ein ehemaliger Ferienort, den die sowjetischen Besatzer nach dem zweiten Weltkrieg von der Außenwelt abschnitten und u.a. zur Herstellung von Atomwaffen nutzten. Die Stadt war für einige Jahrzehnte nicht mal auf Landkarten zu finden. Heute sieht sie wieder wie ein Ferienort aus, jedenfalls im Zentrum. Bilder davon und noch einige weitere von unserem wirklich sehr bildenden und abwechslungsreichen Ausflug hier:

Zunächst, ohne weiteren Kommentar (die Bilder sprechen für sich) ein paar Bilder vom Geländer der Burgruine Toolse, zu deutsch Tolsburg:






An der Ostgrenze der EU in Narva, im Bild die beiden Burgen: links estnisch, rechts russisch.



Sillamäe Zentrum - das sieht für mich nicht wirklich nach Estland aus


Der Sommer nimmt also seinen Lauf. Kurz vor der Mittsommernacht erhielten die Esten ein neues Freiheitsmonument, welches an den Freiheitskrieg zwischen 1918-1920 erinnern soll. Das Monument wurde vor seiner Eröffnung viel und kontrovers diskutiert. Nicht nur seine Form (ein hoher quadratischer Sockel aus Stein mit einem monströs großen Kreuz auf der Spitze), sondern auch der Entscheidungsprozess (eine "Experten"runde hat das Denkmal entschieden, obwohl viele es nicht wollten, und die Bevölkerung wurde nicht wirklich gefragt) sorgten für Diskussionsstoff. Nun ist es also fertig, und ich habe mir die mystisch inszenierte Eröffnungszeremonie angeschaut. Man hat offenbar von Regierungsseite versucht, der Bevölkerung etwas Selbstvertrauen zu geben in den momentan schwierigen Zeiten. Den vielen Fahnen bei der Veranstaltung nach zu urteilen glauben zumindest viele noch an ihr Land.
Vielleicht waren sie aber auch einfach nur enthusiastisch wegen des Tags darauf folgenden Mittsommerfests. Wir grillten dazu an einem der Strände von Tallinn mit ein paar anderen ausländischen Studenten oder bereits Arbeitenden - und es ist diese Nacht in der es nicht dunkel wird, was ein tolles Erlebnis ist.
Das Freiheitsdenkmal, bei seiner Eröffnung von hinten angestrahlt.
Mittlerweile leuchtet es von innen heraus



Grillen am Strand mit Bekannten



Ein großes Feuer am Jaanipäev ist Pflicht! Idealerweise ist es klein genug zum Drüberspringen, denn das bringt Glück oder Fruchtbarkeit oder sowas - hab vergessen was es genau war.



Die nächste Aufbaukur fürs estnische Selbstbewusstsein war das Sängerfest Anfang Juli. Es findet alle 5 Jahre statt, und schon lange vor dem Fest selbst bewerben sich Chöre aus dem ganzen Land darum, beim Fest auf der Bühne stehen zu dürfen und alte estnische Volkslieder zu singen. Das Sängerfest hat für Esten eine ganz besondere Bedeutung, es ist Teil ihrer Identität. Entsprechend aufregend war es, als Außenstehender daran teilzunehmen und versuchen zu verstehen, wie Esten das alles empfinden, was auf der Bühne mit mehreren Tausend Sängern passiert. Der größte Chor, der beim diesjährigen Fest sang, war ein Zusammenschluss aller ca. 24.000 Sänger - einfach nur Wahnsinn, diese Kulisse. Die Lieder waren wirklich ergreifend, und die Akustik trotz Open Air überwältigend. Am Haupttag kamen 100.000 Menschen, um sich das Spektakel anzusehen - ich war einer von ihnen in dieser riesigen Menge. Hoffentlich können die Bilder vermitteln, wie es sich anfühlte.
Eine unglaubliche Kulisse


Früh übt sich wer einmal ein Patriot werden will


Fahnen und jede Menge Menschen


Heute nun geht eine weitere Großveranstaltung zu Ende - Õllesummer. 5 Tage lang ist das Gelände, auf dem wenige Tage zuvor noch die 24.000 Sänger estnische Volkslieder sangen und die Esten als Volk spirituell aufbauten, nun Schauplatz einer Vielzahl von Bands und vor allem Platz für Gegrilltes und Bierbuden aus aller Welt. Letzten Mittwoch war dort Moby live zu sehen, was ein Wahnsinnskonzert war. Es gab natürlich haufenweise deutsche Biere zu kaufen, was ich mir nicht nehmen ließ, wie hier auch bildlich dokumentiert ist.
Der Geschmack von Heimat ...


Das Wetter während der Konzerte war mittelmäßig, um es einmal positiv auszudrücken.


Wenn schon Grillen, dann richtig!


Und zum Schluss die freudige Nachricht: Ich werde Ende Juli für knapp 2 Wochen daheim sein, worauf ich mich schon wahnsinnig freue. Ich mache einen Roadtrip mit dem Auto, bin noch auf der Suche nach Mitfahrern, denn alleine ist das etwas schwierig. Aber ich finde schon noch jemanden. Ich hoffe, in dieser Zeit möglichst viele von euch zu sehen! Also dann - bis bald!